Weil Twitter einige seiner Nachrichten mit einem Warnhinweis versehen hat, droht der US-Präsident dem Kurznachrichtendienst mit Regulierung. Dieser Vorschlag ist nicht verkehrt, sagt ein Medienrechtler und beruft sich auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit.
Donald Trump und der Kurznachrichtendienst Twitter – das war lange eine perfekte Beziehung. Über 57.000 Tweets hat der US-Präsident bisher abgesetzt. Mittlerweile hat er 87 Millionen Follower – mehr als Angela Merkel, Boris Johnson, Emmanuel Macron und der Papst zusammen, wie die Frankfurter Rundschau einmal zusammenrechnete. Twitter ist ganz nach Trumps Geschmack: Kommunikation ohne Filter, ohne Rechtschreibkorrektur, oft auch ohne Anstand. Aber eben 100 Prozent Donald Trump.
Doch die perfekte Beziehung hat Risse bekommen, denn plötzlich sieht sich Trump etwas ausgesetzt, das er nur schwer ertragen kann: Widerspruch. Alle paar Wochen kennzeichnet Twitter einzelne Tweets des Präsidenten als irreführende Nachrichten. Einmal war es ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat aus einer Wahlveranstaltung der Demokraten, ein andermal ging es um die nicht belegte Behauptung, dass Briefwahlen Wahlbetrug befördern würden. Zuletzt kennzeichnete Twitter Trumps Statement, dass er nach seiner Corona-Infektion nicht mehr ansteckend sei als “irreführende und potenziell schädliche Informationen im Zusammenhang mit Covid-19“. Als Twitter dann noch Links auf eine umstrittene Geschichte der New York Post über Hunter Biden, Sohn des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden, blockierte, platzte Trump der Kragen. Er witterte Zensur und kündigte an, soziale Netzwerke regulieren zu wollen.
Was wiegt schwerer: Private Regeln oder Grundrechte?
“Eine solche Löschung von Links ist auch nach deutscher Rechtslage fragwürdig”, sagt Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund. Twitter ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen Kommunikationsregeln aufstellt, die seine Nutzer mit dem Anlegen eines Nutzerkontos akzeptieren – und an die sie sich grundsätzlich zu halten haben. Doch wenn Twitter Nachrichten kennzeichnet oder gar blockiert, nimmt das Netzwerk eine Wertung vor. Das hält Medienrechtler Gostomzyk für kritisch: “Diese private Regelsetzung hat ja Auswirkungen auf die öffentliche Kommunikation.”
In diesem Satz steckt das ganze Spannungsfeld, in dem sich die Diskussion um die Regulierung sozialer Medien bewegt. In den westlichen Demokratien ist Meinungsfreiheit ein hohes Gut, im Grundgesetz der Bundesrepublik etwa ist es in Artikel 5 verankert, in den USA im ersten Zusatz zur Verfassung. Kommunikations- und Informationsstrukturen sind die Grundlage eines jeden Meinungsbildungsprozesses, Gostomzyk misst ihnen deshalb eine erhebliche gesellschaftliche Bedeutung bei. “Soziale Netzwerke sind für die individuelle und öffentliche Kommunikation bedeutsame Infrastrukturen, fast vergleichbar mit Energienetzen und der Wasserleitungen.”
Die Netze für Strom, Gas oder Wasser als klassische Infrastrukturen waren früher in der Hand des Staates, seit ihrer Privatisierung werden sie staatlich reguliert. Soziale Medien haben dagegen eigene Regeln für die Netzkommunikation entwickelt. “Und hier wird bisweilen weniger zugelassen, als die Meinungsfreiheit zulässt”, so Gostomzyk, wozu es immer wieder gerichtliche Auseinandersetzungen gibt. Ein soziales Netzwerk wie Facebook stütze sich dabei auf sein Hausrecht, so wie zum Beispiel ein Kneipenwirt: Der kann für sein Lokal Regeln aufstellen und muss nicht jede Äußerung eines Gastes dulden. In der Öffentlichkeit aber, auf einem Marktplatz oder im Stadtpark, kann sich jeder auf die Meinungsfreiheit berufen und – in gewissen Grenzen – sagen was ihm in den Sinn kommt. Artikel 5 lässt sich hier äußerst weit dehnen, selbst sehr verletzende Äußerungen werden von Gerichten immer wieder als zulässig anerkannt.
Kneipe oder Marktplatz: Wie öffentlich ist Twitter?
Ist Twitter nun also eine Kneipe oder doch eher ein Marktplatz? Unbestritten ist, dass der Einfluss der sozialen Medien auf öffentliche Kommunikationsprozesse bedeutend ist. Nicht nur, weil Twitter, Facebook und andere Netzwerke von Millionen Menschen genutzt werden, sondern auch, weil es keine vergleichbaren Alternativen gibt – diese Quasi-Monopole schließen einen Wechsel zu einem anderen Anbieter mit anderen Nutzungsregeln praktisch aus. Sie sind also so bedeutend, dass die Grundrechte dort als Werteordnung stärker wiegen als die in den Nutzungsbedingungen aufgestellten Regeln, selbst wenn sie unmittelbar nur den Staat binden. Juristen sprechen hier von “mittelbarer Drittwirkung” im Verhältnis zwischen Privaten. Die Durchsetzung dieser kann tatsächlich nur durch eine Regulierung der großen Netzwerke erreicht werden.
Erste Ansätze dafür gibt es bereits. Der im vergangenen Jahr neu verfasste Medienstaatsvertrag verpflichtet soziale Medien zu Transparenz bei der Ausgestaltung von Algorithmen. Auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ebnet den juristischen Weg, um gegen Beleidigungen und Hasskommentare vorzugehen, die einschüchtern können, seine Meinung zu äußern. Auf europäischer Ebene wird gerade das “Gesetz für digitale Dienste” verfasst, mit dem die EU-Kommission digitalen Plattform-Giganten beikommen, digitale Regeln in Europa vereinheitlichen und fairen Wettbewerb schaffen will.
Keine gute Idee: Traditionelle Regeln für digitale Dienste
Es sind also traditionelle Regelwerke, mit denen auf traditionellen Wegen über Gerichtsinstanzen versucht wird, die Geltung von Kommunikationsgrundrechten in der schnelllebigen digitalen Welt auszuüben. Tobias Gostomzyk traut dem Staat am Ende aber kein zufriedenstellendes Ergebnis zu, wenn er sich nicht selbst auf einen Lernprozess einlässt: “Regulierung muss einer internetgerechten Kommunikation dienen und nicht ihrerseits – etwas durch Overblocking – Meinungsfreiheit einschränken”, sagt er. “In der Praxis gelingt das aber oft nicht.”
Er plädiert für eine flexiblere Lösung. Etwa für sogenannte “Cyber Courts”, auf die digitale Welt spezialisierte private Schiedsgerichte, die transparent Streitigkeiten mit Netzwerken unabhängig und mit Sachverstand klären sollen, ohne jahrelang auf eine rechtsgültige Entscheidung warten zu müssen. Facebook etwa geht mit seinem im Mai vorgestellten “Independent Oversight Board” einen ersten kleinen Schritt in diese Richtung.
Donald Trump dürfte diese Idee der Regulierung freilich nicht so gut gefallen. Er würde nämlich bei der Besetzung der Gerichte nicht mitreden können.
>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>Beste Akkus für Ihr Smartphone, Tablet & Notebook bei akkusmarkt.de